Vor 40 Jahren hat Claude Lanzmann, der französisch-jüdische Regisseur, die Frage gestellt, die keine sein sollte. In seinem Dokumentarfilm Warum Israel porträtierte er Israelis und fragte sie nach ihren Gründen, in diesem Land zu leben. Lanzmann ist ein jüdischer Regisseur und Warum Israel ein jüdischer Film: Lanzmann porträtierte jüdische Israelis, Araber kamen nicht zu Wort. Nichtsdestotrotz ist Warum Israel kein Propagandafilm. Er erzählt von der Notwendigkeit Israels als Zufluchtsort für alle Juden in der Welt. Deshalb steht da auch kein Fragezeichen. Warum Israel hat Lanzmann eher wie ein Statement, nicht als eine Frage begriffen.
Kurz vor meiner Abreise nach Israel ist mir Lanzmanns Film wieder eingefallen. Ich habe mich daran erinnert, wie fasziniert ich von den Menschen war, die darin zu Wort kommen. Warum Israel hat mir eine Ahnung davon vermittelt, was dieses Land den Menschen, die hier leben, bedeutet. Und dass ihre Gründe so heterogen sind, wie die Gesellschaft selbst.
Israel ist ein melting pot, hier leben Menschen aus der ganzen Welt. Fast alle sind irgendwie ein- und zugewandert, sind neu, fremd, anders. Ein paar waren schon vorher hier und sind geblieben, viele Palästinenser sind in die angrenzenden palästinensischen Gebiete geflohen vor und nach der Staatsgründung Israels 1948. In meiner journalistischen Arbeit kommen sie alle zu Wort: Juden und Araber, Israelis und Palästinenser. Alteingesessene, neu Zugewanderte, Heimgekommene. Und all die anderen. Ich bin stille Beobachterin, keine Schiedsrichterin.
Viel ist passiert in den vergangenen 40 Jahren. Politisch gesehen sind Israel und die palästinensischen Gebiete noch immer im Veränderungs- und Entstehungsprozess. Die Friedensgespräche, die neuerlich die Grenzen festlegen und einen palästinsischen Staat ermöglichen sollen, gehen in eine neue Runde.
Daneben stellen veränderte ökonomische und soziale Bedingungen die Menschen vor große Herausforderungen. Statistiken verzeichnen seit Jahrzehnten der Einwanderung erstmals eine Abwanderungswelle In Israel. Viele Intellektuelle verlassen das Land, darunter viele junge Leute, denen die Mieten zu teuer, die Regierung zu konservativ und die Zukunft zu perspektivlos ist. Und in den palästinensischen Gebieten zu leben, ist trostlos: Die Wirtschaft stagniert, Korruption bestimmt die Politik.
Doch was ist mit denen, die bleiben? Mit denen, die sich gar nicht die Frage stellen, zu gehen. Oder mit denen, die zwar nicht wissen, ob die Zukunft einen neuen Krieg bringt, die aber niemals auswandern wollen. Weil das ihre Heimat ist. Trotz der Gasmaske im Schrank, trotz der Sperranlage. Oder eben einfach hier leben, weil sie hier geboren sind. Weil es ihr Land ist.
Diese Menschen möchte ich von ihrem ganz persönlichen Verhältnis zu Israel erzählen lassen. Israel ist nicht irgendein Land. Jeder und jede hier hat eine ganz persönliche Geschichte, warum er oder sie hier lebt. Warum Israel. Darum Israel.