Die Women of the Wall feierten vergangenen Montag ihr 25-jähriges Jubiläum. An die 1000 Frauen kamen dafür an die Westmauer. Zusammen haben sie laut gebetet und gesungen, viele Frauen trugen einen Gebetsschal, manche haben sich einen Gebetsriemen um Kopf und den linken Arm geschlungen. Doch wenn es nach den Orthodoxen in Israel ginge, wäre ihnen das verboten.
Am Montagmorgen um 8 Uhr ist die Sonne in Jerusalem gleißend hell. Hunderte Frauen drängen sich an den Eingängen zum Platz, der den Blick auf die Westmauer (auch Klagemauer genannt) freigibt. Wie die Bienen am Korb schlüpfen sie rein, hektisch, drängeln, mit nur einem Ziel: Zu dem Teil an der Westmauer zu kommen, der nur Frauen vorbehalten ist. Dort warten schon seit einer Stunde die Women oft the Wall (WoW) auf den Beginn ihres Gottesdienstes. Heute ist ihr 25-Jähriges Jubiläum. Neben Frauen aus Israel, sind auch viele aus den USA und Europa angereist. Wie zu einer Traube formiert stehen sie zusammen. Dahinter, direkt an der Klagemauer, stehen dicht an dicht orthodoxe Schulmädchen. Manche weinen, die meisten beten im Stillen – so wie es die orthodoxe Auslegung der Tora vorsieht. Sie sind hier, um die WoW daran zu hindern, an die Mauer zu kommen und sie zu berühren. Sicherheitskräfte, ausschließlich Frauen – Männer haben unter keinen Umständen Zutritt zur Frauensektion – garantieren, dass es zu keinen Handgreiflichkeiten kommt.
Dazu kommt es auch nicht – es gibt andere Wege, die WoW beim Beten zu stören. Seit dem Beginn des Gottesdienstes der WoW tönt es laut aus riesigen Lautsprechern, die zwar im Männerteil stehen, jedoch zum Frauenteil gewandt sind. Shmuel Rabinovitch, Rabbi für die Westmauer und Vorsteher der orthodoxen Gemeinde, betet auch. Nicht zusammen mit den WoW, sondern gegen sie. Und das klingt so:
Die WoW sind eine feministische, religiöse Frauenorganisation in Israel. Sie kämpfen für das Recht so zu beten wie die Männer: Mit Gebetsschal und -riemen, laut und das Torabuch in den Händen haltend. Und das alles am heiligsten Ort der Juden: an der Westmauer. Die Organisation ist pluralistisch. Jüdinnen aus allen möglichen religiösen Strömungen sind Mitglieder und Unterstützerinnen. Orthodoxe genauso wie Gläubige aus dem Reformjudentum. Das geht eine Stunde so, vielleicht auch länger. Die Frauen lassen sich nicht stören, die Stimmung bleibt ausgelassen. Sie reden und lachen zwischen den Gebeten, immer wieder singen sie und klatschen zum Takt. Nach einer Weile verstummt der Rabbi, die Lautsprecher schweigen. Shira Pruce, Pressesprecherin der WoW, ist erleichtert:
Für Shira Pruce sind die Feierlichkeiten zum Jubiläum nicht nur ein Grund zum Freuen. Sie nennt das Gefühl „bittersweet“, das damit für sie verbunden ist. 25 Jahre WoW heißt 25 Jahre Schwesternschaft und gegenseitige Unterstützung darin, die eigene Stimme beim Beten zu hören. 25 Jahre WoW heißt aber auch 25 lange Jahre feministischer Kampf für die gleichen Rechte. 500 gerichtliche Entscheidungen regeln seither die Situation für Frauen an der Westmauer. Mindestens genauso viele Verhaftungen hat es in der Geschichte der WoW gegeben. Seit einem Viertel Jahrhundert treffen sich die Mitglieder der WoW am Beginn eines neuen Monats, am Rosh Hodesh, um zu beten. Seit April 2013 garantiert eine Amtsgerichtsentscheidung, dass die WoW an der Klagemauer so beten dürfen, wie sie wollen. Einzig die Torarolle muss zuhause bleiben. Seitdem werden die WoW von der Polizei beschützt, denn die Gegner der Gerichtsentscheidung – orthodoxe Frauen und Männer – protestieren jeden Monat gegen die WoW. Deshalb haben die WoW in den letzten Monaten eine große Solidarität von Juden aus der ganzen Welt erfahren. Bonny Hohenberger aus Philadelphia ist extra angereist, um mit den WoW den Gottesdienst an der Klagemauer zu feiern. Von der Stimmung vor Ort ist sie angetan:
Den Kampf für die gleichen Rechte für Frauen tragen nicht nur die WoW aus. Seit Jahren streitet die Bevölkerung in Israel über den Einfluss der Orthodoxen, auch wenn nur 15 Prozent der Israelis zu dieser religiösen Gruppe zählen. Dieter Graumann, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, hat in diesem Zusammenhang einmal von einem Kulturkampf gesprochen, den Israel erwartet.
Und auch heute, an der Westmauer, ist davon etwas zu spüren. Obwohl es legal ist, als Frau an der Westmauer laut zu beten, haben sich circa 200 Orthodoxe eingefunden, um die Frauen zu stören. Sie stehen auf dem Platz vor der Mauer, dort, wo eigentlich immer nur die Touristen stehen, die die Betenden an der Mauer beobachten wollen. Damit können sie direkt auf die WoW schauen. Sie grölen und versuchen, einzelne Frauen davon abzuhalten, in den Frauenteil zu gehen. Peggy Cidor, Mitglied der Kommission der WoW, will einem israelischen Fernsehsender ein Interview geben. Doch sie ist umzingelt von orthodoxen jungen Männern, die so laut schreien, dass sie das Interview abbrechen muss. Ihre Reaktion ist eindeutig:
Die Orthodoxen kommen jedes Mal, wenn die WoW beten wollen, an jedem Rosh Hodesh. Teilweise organisiert die orthodoxe Gemeinde ganze Busladungen voll Schulmädchen. Heute ist die Stimmung angespannt, aber nicht aggressiv. Es fliegen keine Eier wie sonst, niemand spuckt die WoW an. Dennoch rufen viele orthodoxe Frauen dazwischen, wenn die WoW beten. Shira Pruce, Pressesprecherin der WoW (in der beigen Jacke) erzählt, wie die orthodoxen Frauen und Mädchen provozieren:
Neben den orthodoxen Männern stehen weitere Männer. Auch sie tragen Gebetsschal und Kippa, viele von ihnen jedoch auch ein buntes T-Shirt: „I stand with the Women of the Wall“ steht darauf. Es sind die Ehemänner, Brüder und Freunde der WoW, die als Unterstützer mitgekommen sind. Zusammen mit den Frauen beten und singen sie:
Nach 90 Minuten kommt der emotionale Höhepunkt des Rosh Hodesh im November: Die WoW packen ihre Gebetschals aus und halten sie in die Höhe. So bilden sie ein Zelt – aus vielen verschiedenen Stoffteilen zusammengesetzt. Mit dieser Geste preisen die Frauen Gott. Es ist Teil eines jeden jüdischen Gottesdienstes.
Ein letztes Mal singen die Frauen zusammen, ehe sie sich auf den Weg machen, zu gehen. Im Dezember kommen sie wieder. Mit Gebetsschal und Kippa. Und vielleicht irgendwann auch mit der Tora in den Händen.